Olympia: Der Zeustempel - Stolze Selbstdarstellung einer Stadt

Olympia: Der Zeustempel - Stolze Selbstdarstellung einer Stadt
Olympia: Der Zeustempel - Stolze Selbstdarstellung einer Stadt
 
Im Jahr 480 v. Chr. stellten sich griechische Truppen bei den Thermopylen in einem aussichtslosen Kampf dem übermächtigen Heer der Perser entgegen. Zur gleichen Zeit, als der spartanische König Leonidas dort den Heldentod starb, beging man in Olympia das im Vierjahresabstand begangene Kultfest mit den in das Gesamtprogramm eingebetteten athletischen Wettkämpfen. Welche Last damals auf den Festgästen gelegen haben muss, lässt sich leicht nachvollziehen, wenn man erfährt, welcher Jubel vier Jahre später den gleichen Platz erfüllte, nachdem man die Perser in dramatischen Land- und Seeschlachten überraschenderweise doch noch besiegt hatte.
 
Neben die Erleichterung trat die gebotene Selbstkritik: das griechische Territorium war politisch aufgegliedert in eine Vielzahl souveräner, untereinander zerstrittener Stadtstaaten. Kaum ein Zwist wurde friedlich gelöst. Selbst das Heranrücken der Perser hatte sie zunächst nicht von ihren internen Fehden abhalten können. Nur das Zusammenrücken in letzter Minute bewahrte sie vor der Unterjochung. Diese Erfahrung war noch lebendig, als die Delegationen aus den griechischen Städten im Jahr 476 v. Chr. in Olympia versammelt waren. So fassten sie einen in der griechischen Geschichte einzigartigen Entschluss: sie verpflichteten sich, künftig alle internen Streitigkeiten einvernehmlich zu regeln. Es wurde ein neutrales Schiedsgericht eingesetzt. Zu Richtern wurden Kultbeamte des Zeusheiligtums von Olympia berufen. Nur dieser Platz besaß bei allen Griechen ausreichende Autorität, der Idee der Eintracht zum Durchbruch zu verhelfen.
 
Das Zeusheiligtum von Olympia war Bestandteil des Stadtstaates Elis. Die Ehre, Sitz des gesamtgriechischen Schiedsgerichts zu sein, fiel somit der Stadt Elis zu. Rat und Bürger von Elis reagierten in typisch griechischer Manier: sie errichteten ein monumentales Sinnbild ihres neu erworbenen Ansehens. Seit langem schon hatten die griechischen Städte eine feste Form für eine solche Selbstdarstellung gefunden: es sind die Tempel in den Heiligtümern. Entgegen der weit verbreiteten Annahme, die Tempel der Griechen seien Stätten des praktizierten Kultes, gehören sie wie die Statuen zu den Weihgeschenken an die Gottheiten.
 
Der in den Siebziger-Jahren des 5. Jahrhunderts v. Chr. begonnene Zeustempel von Olympia war damals das größte Bauvorhaben auf griechischem Boden. Auf einer Grundfläche von etwa 28x65 m erhob sich die Baumasse des Tempels mehr als 20 m in die Höhe. Das Baumaterial für den Rohbau stammt aus den Kalksteinbrüchen etwa 15 km östlich von Olympia. Für alle steinernen Zierelemente, das heißt, für den Skulpturenschmuck und das Dach, schaffte man kostbaren Marmor von der Kykladeninsel Paros herbei.
 
Die architektonische Leitung des Bauvorhabens lag in den Händen eines einheimischen Architekten namens Libon. Für die Bearbeitung des lokalen Muschelkalksteins griff man zweifellos auf örtliche Kräfte zurück. Die Marmorbildhauer rekrutierten sich jedoch aus verschiedenen Regionen Griechenlands. In erster Linie nahm man die damals führenden Künstler aus der Herkunftsinsel des Kykladenmarmors unter Vertrag.
 
Wie bei diesen repräsentativen Weihgeschenken der griechischen Städte üblich, verkündet auch am Zeustempel von Olympia der Bildschmuck in den dreieckigen Giebelfeldern, worauf sich Stolz und Dank der Stifter gründen. Die Deutung der Bilder fällt deshalb leicht, weil wir aus der Entstehungszeit der Skulpturengruppen Texte des Dichters Pindar besitzen, in denen dieser manche der handelnden Personen verherrlicht.
 
Die Szene über der Eingangsseite im Osten spielt auf ein dramatisches Ereignis in der Geschichte Olympias. Der alteingesessene König Oinomaos hintertreibt die Regelung seiner Nachfolge. Nur zum Schein geht er darauf ein, dass ihm derjenige auf dem Thron folgen solle, der ihn im Wagenrennen besiegt. Da tritt Pelops auf den Plan. Er steht unter der Obhut des Poseidon. Von diesem Gott erhält er die schnellsten Rosse und gewinnt die Wettfahrt. Pelops wird zum Begründer einer gerechten Königsdynastie. Sein Ruhm verbreitet sich auf der ganzen Halbinsel, die ihm zu Ehren »Peloponnes«, das heißt, »Insel des Pelops« genannt wird.
 
Die Skulpturengruppe des Ostgiebels scheint auf den ersten Blick nichts von der Dramatik des Geschehens wiederzugeben. Die Akteure der Handlung stehen - wie Schauspieler nach der Aufführung - nebeneinander aufgereiht. Doch die Ruhe täuscht. Bei genauem Hinsehen wird man von der geradezu knisternden Spannung erfasst. Die Einzigartigkeit dieser Bildschöpfung besteht gerade darin, dass die Künstler die atemlose Stille dieses schicksalhaften Augenblicks einzufangen verstanden. Das Figurenensemble besticht durch die beziehungsreiche Gestik und Mimik einer jeden Einzelfigur: Durch leichte Drehungen der Körper und Köpfe beider Paare zu Seiten des Zeus wird signalisiert, wie Glück und Verderben verteilt sind: Pelops und seine Braut Hippodameia sind einander erwartungsfroh zugewandt. Oinomaos und seine von schlimmen Vorahnungen erfüllte Gattin haben keine Blicke mehr füreinander. Auf das Ende des alten Herrscherpaares spielt auch der Ausdruck des Entsetzens im Blick und in der Gebärde des Sehers in der rechten Giebelhälfte an.
 
Thema des Westgiebels ist der Streit unter den Gästen, die zur Hochzeit des Fürsten Peirithoos geladen waren. Die Kentauren, die pferdeleibigen Verwandten des Bräutigams, vergreifen sich an den Frauen der gastgebenden Familie aus dem Geschlecht der Lapithen. Der Kontrast zwischen den Körpern der Kentauren und dem Liebreiz der weiblichen Gestalten ist betont herausgearbeitet. Diese unwürdige Handgreiflichkeit unter Nachbarn wird durch das entschiedene Eingreifen Apollsbeendet. Mit der Wahl dieses Mythos nimmt der Bildschmuck des Zeustempels Bezug auf die Rolle Olympias als Schiedsgericht bei innergriechischen Streitigkeiten.
 
Prof. Dr. Ulrich Sinn
 
 
Gruben, Gottfried: Die Tempel der Griechen. Aufnahmen von Max Hirmer. München 41986.
 Sinn, Ulrich: Olympia. Kult, Sport und Fest in der Antike. München 1996.

Universal-Lexikon. 2012.

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